Freiheiten im Projekt sind sinnvoll, solange das Management dahintersteht

Das Konzept der Blogparade war mir bis vor kurzem noch unbekannt. Kein Wunder, denn ich blogge nur sehr wenig. Der folgende Beitrag zur Blogparade des Projektmagazins ist daher auch mein erster Blog im Rahmen eines solchen Konzeptes. Hat Spaß gemacht, deshalb: Gerne wieder und die lieben Kollegen/-innen vom Projektmagazin grüße ich damit ganz herzlich!

Der Titel der Blogparade lautet: „Wir arbeiten jetzt agil / digital / selbstorganisiert!“ – Mehr Erfolg durch neue Freiheiten im Projekt oder viel Wirbel um nichts?

Die Fragen des Projektmagazins (PM) beantworte ich (MB) aus der Perspektive einer externen Beraterin bzw. Projektleiterin.

PM: Welche Spielräume haben Sie in Ihren Projekten, um auch mal andere Ansätze auszuprobieren und bewusst neue, einfache Wege zu gehen?
MB: Das ist abhängig von der Rolle, in der ich bei meinen Kunden im Einsatz bin. Als operative Projektleitung erwarten Kunden eher, dass ich dem Vorgehensmodell folge, das für ihre Projekte definiert ist. Der Zeitdruck ist dann meistens so groß, dass sie auch für wenige und einfach umsetzbare Verbesserungen im Projektmanagement wenig Offenheit zeigen.
Völlig anders ist das bei Beratungsaufträgen und Change Projekten. Die Spielräume neue Ansätze auszuprobieren sind dabei sehr groß. Dabei ist die Mischung aus „Mit den Teams ausprobieren“ und „Vorgaben an die Teams“ wichtig. Die Dosierung der beiden ist in jedem Projekt anders und hängt u.a. von der Offenheit der Mitarbeiter/-innen ab. Im Projektverlauf ändert sie sich meistens zugunsten der freieren Ausprobier-Variante.

PM: Inwieweit lassen Unternehmen den Projektleitern, Scrum Mastern und Product Ownern sowie Beratern freie Hand bei der Wahl des Vorgehens, in der Projektplanung, bei der Kommunikation oder bei der Art der Zusammenarbeit im Team (Stichwort Selbstorganisation)? Und mit welchen Ansätzen haben Sie Erfolg?
MB: Wie gesagt erlebe ich in Beratungsprojekten große Freiheiten. Eine freie Hand zu bekommen kann, je nach Einbindung des Managements aber gut oder schlecht sein. Wenn man als Berater/-in mit dem Kernteam z.B. nur deshalb viele Freiheiten bekommt, weil sich das Management ein Alleinläufer-Change-Projekt wünscht ohne sich bei der Bearbeitung kritischer Themen oder Konflikte zu involvieren ist das riskant. Riskant für das Management, weil am Ende vielleicht das Verständnis für neue Denkweisen, Erwartungshaltungen und Strukturen fehlt. Aufreibend für Mitarbeiter/-innen, da sie gleichzeitig einer neuen Methodik und einem eventuell nicht mehr dazu passenden Denkmodell des Managements folgen müssen. Schlecht für Berater/-innen, weil neue Konzepte nicht konsequent erprobt werden und sich nicht bewähren können. Eine freie Hand macht dann Sinn, wenn das Management von Anfang an involviert ist, d.h. wenn es Denkweisen, Methoden, Intentionen und Konsequenzen hinterfragt, Sprachrohr der Veränderung darstellt und wirklich von der Sache überzeugt ist. Das gehört auch gleichzeitig zum Ansatz, den ich als den Erfolgreichsten empfinde, nämlich das Vorleben der neuen Denkmodelle und Methoden im Rahmen definierter Projekte zusammen mit dem Management. Nach und nach können weitere Mitarbeiter/-innen in Veränderungsmaßnahmen einbezogen werden und als Multiplikatoren unterstützen.

PM: Wird es wertgeschätzt, wenn Sie ausgediente Prozesse, starre Hierarchien und Silodenken aufzubrechen versuchen – oder gelten Sie dann als Querulant, der Unruhe ins Unternehmen bringt?
MB: Diejenigen, die gerne das Ganze sehen (Organisation, Methoden, Menschen, Technologien, Geschäftsmodelle, Prozesse, etc. und deren Zusammenhänge) wertschätzen es und neigen tendenziell dazu sich als Beteiligte an der Veränderung zu sehen. Diejenigen, die nur die Veränderungen (vielleicht sogar Verbesserungen) in ihrem direkten Umfeld und die damit verbunden Hürden sehen, neigen eher dazu sich als passive Betroffene zu sehen. Es kann nicht pauschalisiert werden, aber die Wahrscheinlichkeit von den „Betroffenen“ angeklagt und abgewertet zu werden ist sehr viel höher als von den „Beteiligten“. Beide Haltungen gibt in es auf allen Hierarchieebenen und in allen Fachbereichen.

PM: Zudem interessiert uns Ihre Motivation dafür, Neues in Ihren Projekten ausprobieren:
MB: Ich halte alte oder besser „bestehende“ Vorgehensweisen nicht grundsätzlich für schlecht. Genauso wenig kann man sagen, dass die Neueren generell gut sind. Was wirksam ist, hängt vom Kontext ab. Dazu gehört auch, dass Vorgehensweisen nicht nur aufgrund von Angst, Überforderung oder persönlichem Geschmack beibehalten oder gewechselt werden sollten. Unternehmen sind besser dran, wenn sie kontinuierlich überprüfen:
• ob die althergebrachten Methoden im gegenwärtigen (und angestrebten) Kontext noch den Erfolg bringen (können), den sie bringen sollen
• welche kurz-, mittel oder langfristigen (positive und negative) Konsequenzen es haben kann, wenn mit den bestehenden Vorgehensweisen weiter gearbeitet wird
• Wie das Problem strukturiert ist: Besteht ein Kommunikations-, Methoden- oder Technologieproblem und wie hängen diese zusammen?
Diese Liste kann man nach Belieben weiterführen. Die Überschrift darüber und meine Motivation ist für mich – wie so oft – ein ausgewogenes System zu gestalten, das die Ergebnisse bringt, die es bringen soll. Der Begriff „System“ steht wahlweise für Organisation, Prozess, etc.

PM: Tun Sie es, weil Sie das Gefühl haben, mit dem althergebrachten Vorgehen nicht mehr zukunftsfähig zu sein? Oder um Ihr Profil als Projektmanager im Unternehmen zu schärfen?
MB: Es ist wichtig das Neue zu kennen, um beurteilen zu können, ob es im Kontext nützlich sein kann. Die Schärfung des Profils ist dann ein guter Nebeneffekt und für neue, unerwartete Probleme steckt dann wieder ein neues Werkzeug im Koffer, das für manche Kunden tatsächlich wichtig ist, um zukunftsfähig zu sein. Bei anderen Kunden brauche ich es vielleicht nicht.

PM: Oder kommen Sie damit vornehmlich den Wünschen von Vorgesetzten oder Ihrer Teammitglieder nach?
MB: Bei mir sind es Auftraggeber, die Verbesserungswünsche an Organisation, Prozessen, Methoden, Kommunikation, etc. wollen.

PM: Und welche Projekte eignen sich am besten, um Veränderung anzustoßen? Eher so gut wie unentdeckt ablaufende U-Boote oder mit viel Pomp ins Leben gerufene Leuchtturmprojekte?
MB: U-Boot Projekte halte ich für ein Symptom fehlenden Mutes zur Transparenz und geringer Konsequenz. Aus Angst vorm Scheitern? Aus Angst vor Unruhe? Egal. Irgendwer bekommt immer mit, dass da etwas läuft und wenn der Flurfunk erstmal schneller war als die regulären Informationskanäle sind schon viele Gerüchte und im schlimmsten Fall Angst, Frust oder Ärger in der Organisation präsent. Viel Pomp sehe ich ebenso kritisch, weil im Pomp-Modus meistens zu viel versprochen wird, das nicht gehalten werden kann, z.B. dass mit der neuen Software alles ganz schnell besser, einfacher und übersichtlicher wird. Letztendlich stimmt das sogar, aber der Weg dahin führt normalerweise über viele Probleme, die dann aufgrund der abweichenden Erwartungshaltung der Mitarbeiter/-innen für Unruhe sorgen.
Leuchtturmprojekte sind ok. Mir gefallen die am besten, die mittelmäßig komplex sind und an denen Multiplikatoren aus allen betroffenen Fachbereichen beteiligt sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Komplexität ausreicht um die Wirksamkeit einer Methode zu überprüfen ist dadurch höher. Im positiven Fall ist dann auch die Wahrscheinlichkeit größer, dass alle betroffenen Fachbereiche den Erfolg teilen können. Im negativen Fall ist es wahrscheinlicher, dass alle hinter dem Ergebnis stehen. Das ist ein guter Ausgangspunkt für weitere, schwierigere Themen oder neue Versuche mit anderen Methoden.

PM: Macht das anders machen die Projekte besser, effizienter, erfolgreicher ­– oder handelt es sich dabei um Spielereien, deren größter Nutzen darin besteht, gelangweilte Mitarbeiter und geltungssüchtige Führungskräfte zufriedenzustellen?
MB: Das kann man so pauschal nicht sagen, aber es gibt ein paar Haltungen, die ich von vornherein für nicht zielführend halte:
Alle arbeiten jetzt agil, deshalb machen wir das jetzt auch (Ziellosigkeit)
Die Methode sieht gut aus, die müssen wir auch bei uns anwenden (Selbstzweck der Methode)
Agil macht uns schneller, damit schaffen wir mehr in kürzerer Zeit (Verständnisproblem)
Wir kleben Kärtchen auf ein Board, wir arbeiten jetzt agil (Methode ohne Mindset)